Sabine Hunziker. Sechs Millionen Menschen haben am 8. März 2018 im Spanischen Staat teilgenommen. Dieser Streik ist als die grösste von Frauen* organisierte Mobilisierung in die Geschichte Spaniens eingegangen. Die Geschichte eines Streikes, der Vorbild für viele Aktionen im Frauen*streikjahr sein wird.
Bereits einige Frauen sind im Weissen Saal im Volkshaus am Morgen des 12. Januar 2019. Wie jedes Jahr findet hier das alternative Forum «das Andere Davos» statt, das sich als eine Art Gegenpol zu dem in Davos organisierten World Economic Forum (WEF) versteht, wo sich mächtige «Wirtschaftsführer», einflussreiche Politikerinnen* und Verantwortliche von internationalen Institutionen wie IWF, WTO oder EZB treffen. Zwar versuchen die Organisatorinnen* und Teilnehmerinnen* des WEF mit ihrem Anlass alle davon zu überzeugen, dass sie an Lösungen zu ökonomischen und gesellschaftlichen Problemen interessiert sind. Wir allerdings wissen, dass sie als Repräsentantinnen* der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aktiv verantwortlich für Armut und Unterdrückung sind. So hat die Bewegung für den Sozialismus (BFS) auch dieses Jahr wieder eine Auswahl an Themen in Form von Vorträgen oder Workshops zusammengestellt und Rednerinnen* eingeladen. Auch zum Frauen*streik am 8. März 2018 im Spanischen Staat wurde informiert: Eingeladen war Julia Cámara, Mitglied der nationalen Koordination des Frauen*streiks 2018 und feministische Aktivistin von Anticapitalistas.
Vorbild für viele Frauen*kollektive
Am internationalen Frauen*kampftag 2018 sind in vielen Ländern Frauen* auf die Strasse gegangen. Mit dem Streik wollten die Teilnehmerinnen* unter anderem auf patriarchale Unterdrückung, Diskriminierung am Arbeitsplatz und sexualisierte Gewalt aufmerksam machen und dagegen protestieren. Im Spanischen Staat haben 6 Millionen Menschen an diesem Tag unter dem Motto «Wenn wir streiken, steht die Welt still» ein Zeichen gesetzt. Dieser Streik ist als die grösste von Frauen* organisierte Mobilisierung in die Geschichte Spaniens eingegangen und Vorbild für viele Frauenkollektive geworden. Das Ziel, während einer bestimmten Zeit die von Frauen* verrichtete Arbeit niederzulegen und so auf die doppelte Belastung aller Frauen aufmerksam zu machen, wurde erreicht. Frauen* machen oft Lohn- sowie Hausarbeit und erhalten dabei keine, respektive eine andere Entlohnung als Männer. Mit dem Frauen*kampftag wollen Teilnehmer*innen nicht nur auf Themen aufmerksam machen und protestieren, sondern auch die Vernetzung von Frauen* fördern, damit der Kampf eine Kontinuität erhalten kann. Im «Manifest des 8. März», das zu diesem Anlass verfasst wurde, sind vier Ebenen skizziert: Arbeiterinnen*streik, Studentinnen*streik, Konsumstreik und Care-Streik. Ziel dieses Workshops im Volkshaus war nicht nur die Information rund um die Aktion durch Cámara, sondern auch die Analyse davon. Weshalb waren die Aktivist*innen so erfolgreich? Welche Lehren für ähnliche Mobilisierungen können daraus gezogen werden? Arbeitsorte der Arbeiterinnen* und Studentinnen* werden auch in anderen Ländern bestreikt. Die betriebliche Niederlegung der Arbeit wie auch Demonstrationen in Institutionen allgemein oder Unterrichtsboykott in Bildungsinstitutionen sind Kernbereiche der Frauen*streiks. Streiks rund um den Konsum sollen darauf aufmerksam machen, welche Rollen Frauen* in Medien und Konsumwelt spielen. Oft werden Frauen* hier auf ihren Körper reduziert, idealisierte Frauenbilder dargestellt und bestimmte Rollen reproduziert. Zum Care-Begriff wird in der aktuellen Frauen*bewegung gearbeitet. Es finden Diskussionen dazu statt, wie sich die Sorge-Arbeiterinnen vernetzen können oder in welcher Form man diese Arbeit bestreiken, respektive in politische Aktionen einbetten kann. Reproduktionsarbeit sichtbar zu machen und zu Forderungen dazu zu kämpfen, sind noch immer Herausforderungen.
Eigene Proteste ins Leben rufen
Seit den 1990er Jahren haben wir verzweifelt auf eine Veränderung gewartet, so beginnt Julia Cámara mit ihren Erinnerungen. Kämpfe in Argentinien wie auch in Irland rüttelten auf und machten Lust, sich an diesen internationalen Kämpfen aktiv zu beteiligen. So beschlossen Frauen* am 8. März einen eigenen Protest mit Forderungen ins Leben zu rufen. Wir wollten auch mitmachen. Inspirieren liessen wir uns vom internationalen Kontext, so Julia Cámara. So wurde eine Koordination aufgebaut und in Diskussionsrunden darüber gesprochen, was Sachlage war. Das erste Treffen fand im Sommer 2017 statt, bei dem sich über 150 Frauen* trafen, um über eine mögliche Aktion zu sprechen. Ein Beschluss fiel, bei dem man sich auf einen Streik hinbewegen wollte – auf einen feministischen Streik hin. Doch welcher Art sollte der er sein? Themenbereiche wie Arbeiterinnen*, Studentinnen*, Konsum oder Care-Arbeit waren schnell gefunden. Klar war aber auch, dass der 8M-Streik (für 8. März) aus Respekt zu Katalonien und dem Baskenland keine nationale Aktion sein würde. Verschiedene Versammlungen und eine genauere Planung erfolgten sowohl in Städten und Dörfern. Beim zweiten Treffen waren schon ca. 550 Frauen* mit dabei. Mitunter gab es auch ein Manifest zum feministischen Streik, der auf 4 Ebenen stattfinden würde. Die grösste Herausforderung – so Julia Cámara – war die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Denn im Spanischen Staat ist ein Streik nur legal, wenn anerkannte Gewerkschaften dazu aufrufen. Nur basisnahe Gewerkschaften wie die CNT (Konföderation anarchosyndikalistischer Gewerkschaften in Spanien) halfen mit, einen Generalstreik zu tragen. Grosse Gewerkschaften wie beispielsweise die UGT (Unión General de Trabajadores) machten einen Rückzieher und riefen schlussendlich nur für einen Teilstreik von einigen Stunden auf.
Streik für unbezahlte Arbeit?
Menschen, die unbezahlt in einem Haushalt arbeiten, haben sich zuvor wohl noch nie an einem Generalstreik beteiligt. Das Fazit der Diskussionen in den Organisationskollektiven war, dass ein feministischer Streik mehr als ein Frauen*streik ist und dass diese Art von Streik viel weiter geht als ein Generalstreik. Der klassische Streik kommt schnell an Grenzen, weil bestimmte Menschen keinen Gebrauch machen können vom Streikrecht. Mit Generalstreiks kann nur wenig auf die Bedürfnisse von Frauen*, die beispielsweise unbezahlte Arbeit machen, eingegangen werden. Es stellte sich die Frage, wie es möglich ist, alle Frauen* in diesen feministischen Streik einzubeziehen. Mit der Pflege- und Sorgearbeit kommen andere Orte in Frage als traditionelle Streikorte im Betrieb. Es würde nicht zu einer klassischen Niederlegung der Arbeit kommen. Frauen* ohne Arbeitsvertrag oder mit einer Arbeit unter schwierigen Bedingungen können sich kurz oder lange am Streik beteiligen oder auch nur symbolisch darauf hinweisen. Es soll ein Bewusstsein geschaffen werden für Missstände ausserhalb der klassischen Streikthemen. In Arbeitsgruppen innerhalb der Streikorganisation wurden spezifische Themen detailliert bearbeitet. Zur Vernetzung und zum Erreichen möglichst vieler Frauen* wurden Treffpunkte im Quartier besucht, mit Mitgliedern gesprochen oder dort Versammlungen mit Essen und Musik organisiert. Um auch die Landbevölkerung zu erreichen, sind Aktivistinnen* mit Autos von Dorf zu Dorf gefahren – haben informiert und mobilisiert. In Spanien gibt es viele Dörfer, die nur wenig mit den Städten verbunden sind. Somit wurde der Streik mit Autos in die Dörfer getragen, so Julia Cámara. Hier funktionierte alles nach dem Motto: Wenn du nicht an den Streik (in den Städten) gehen kannst, kommt der Streik zu dir. In Gesprächen kam heraus, dass viele Frauen häusliche Arbeit zwar an diesem Tag bestreiken wollten, sich aber erst mit ihrem Mann dazu besprechen mussten. Julia Cámara sagte, dass sich hier erst noch das Bewusstsein durchsetzen musste, dass es sich bei den Forderungen des feministischen Streiks schlussendlich um eine Aufnahme und Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme handelt, die alle betreffen.
Feminismus als historische Verantwortung
Durchsetzen musste sich hier das Bewusstsein: Wir sind unsere eigenen Vorgesetzten und wir lösen Probleme gemeinsam. Je weiter die Streikvorbereitungen vorwärts gingen, desto mehr begannen sich auch einige Männer zu organisieren und die Arbeit aufzuteilen. Männer haben sich auch am 8. März 2018 um die Kinder gekümmert, gekocht und Reinigungsarbeiten geleistet. Die grosse Mobilisierung mit 6 Millionen Menschen in Dörfern und Städten am 8. März 2018 im Spanischen Staat zeigte, dass Feminismus heute, anders als vielleicht früher, «etwas Stärkeres ist» – eine historische Verantwortung. Neben vielen Beispielen von Kämpfen in der Vergangenheit die ein starkes Fundament bieten, gibt es heute eine grosse länderübergreifende Solidarität mit Mobilisierungskampagnen auf internationaler Ebene. Veränderungen auf globaler Ebene sind passiert und es ist den Aktivistinnen* gelungen, Risse im herrschenden System zu schaffen. Wichtig war bei den Kämpfen im Spanischen Staat, dass die Bewegung hier möglichst autonom bleibt. Wer für die Bewegung spricht, darf nicht aktiv resp. eine wichtige Person in einer Partei oder Gewerkschaft sein. Spenden und Unterstützung sind willkommen, jedoch werden keine Namen der Gönnerinnen* veröffentlicht. Wichtig war auch das Wegkommen von der Idee vom «individuellen Empowerment», bei dem einzelne Frauen* sich ermächtigen sollen – auch auf Kosten von anderen Frauen*.
So wird beispielsweise eine Frau, die Karriere machen will, eine andere Frau bezahlen, die möglichst kostengünstig bei ihr im Haushalt arbeitet. Die Situation aller soll verbessert und die Sorgearbeit auf die Gesellschaft verteilt werden. Was können wir lernen für weitere Kämpfe im Jahr 2019? Es ist schwierig, alle Frauen* für einen feministischen Streik erreichen zu können, da es kein typisches Profil gibt für eine Frau*. Wichtig werden hier Allianzen mit unterschiedlichen Frauen*kollektiven wie Migrantinnen*kollektive, Nachbarschaftsgruppen oder Vereinigungen von Müttern und Vätern. Nicht alle fühlen sich angesprochen durch einen Aufruf zum Streik. Aktivistinnen* in Spanien haben aktiv Treffpunkte von Frauen* aufgesucht, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Sie haben nicht gewartet, bis die Betroffenen zu Kollektiven dazu gestossen sind.