1980, vor 40 Jahren, erschütterte und schockierte die autonome Jugendbewegung die biedere Schweiz und die bürgerlichen Medien. Die Gesellschaft, die Politik und die kapitalistische Wirtschaft wurden aber wie nach 1968 nicht wirklich verändert, sondern nur etwas reformiert und pseudofortschrittlich ausstaffiert.

Am 30.Mai 1980 fand eine Demonstration vor dem Opernhaus in Zürich statt, die vom aufgeschreckten Medien-Mainstream empört «Opernhauskrawall» getauft wurde in Erinnerung an den «Globuskrawall» 1968, bei dem es ebenfalls um spontanen Klassenkampf und selbstverwaltete Freiräume gegangen war. Besucher*innen des Hauses der Hochkultur wurden angepöbelt, sie fanden dies sehr frech und undankbar, fanden, diese Ungezogenen sollten gescheiter arbeiten gehen. Die Demonstrant*innen skandierten ungeniert «Wir sind die Kulturleichen der Stadt», «Macht kaputt was euch kaputt macht», «Lust statt Frust» und «AJZ subito». Sie bemängelten, dass für die Unterhaltung der Oberklasse so viel öffentliches Geld floss und für die Jugend ungleich viel weniger.

Leben im Wohlstandsgefängnis
Viele politisch Interessierte waren erstaunt, dass sich ein grosser Teil der als apathisch und konsumgeil abgeschriebenen Jugend plötzlich auf die Strasse ging und sich politisch äusserte, mal kreativ und humorvoll, mal mit Barrikaden, Verwüstungen und Scharmützeln mit der Polizei. Die Opernhaus-Demo, die Strassenkämpfe in Zürich nach dem Bob-Marley-Konzert und das kollektive Massen-Hineindrücken ohne Bezahlung in ein Konzert von Peter Tosh waren die Initialzündung für die «Jugendbewegung» oder «Bewegung» in der ganzen Schweiz. Jugendliche und junge Erwachsene erlebten das Leben als Wohlstandsgefängnis von Familie, Schule, Heim, Arbeit und Ehe. Sie forderten selbstbestimmte Freiräume ohne Konsumzwang und Erwachsenenaufsicht. Die seit dem Ende der Sechziger Jahre in vielen Schweizer Städten bestehenden AJZ-Bewegungen erlebten einen Aufschwung.

Selbstverwaltete Projekte
In Biel bestand bereits 1968 ein mit Demos und Aktionen erkämpftes Autonomes Jugendzentrum (AJZ) im ehemaligen Gaskessel auf der damals noch unüberbauten Industriebrache. Dort traf sich die verpönte und ausgeschlossene Hippie-, Beat- und Rock’n’Roll-Jugend, renovierte, feierte, machte politische Aktionen. Dank eines erneuten politischen Kampfs entstanden um den «Chessu» herum in den 1980er-Jahren selbstverwaltete Projekte wie Notschlafstelle «Sleep-In», Gassenküche und Schrottbar. Auch in Bern besteht die 1981 bis 82 zum ersten Mal besetzte ehemalige Reitschule immer noch als alternatives Kulturzentrum, trotz ständiger Angriffe von SVP, Grossem Rat und der Berner Zeitung. Im calvinistischen Zürich wurde der störende Sündenpfuhl AJZ schon früh geräumt, abgerissen und das Terrain geteert als Carparkplatz hergerichtet.

Umgehend vermarktet
Viel Bewegung und Polizeirepression gab es in Europa bereits vor 1980: Hausbesetzungen in den Niederlanden, in Westberlin und vielen Städten Europas, Sympathien mit der RAF und den Brigate Rosse. Und im superneoliberalen Thatcher-Königreich mächtige Riots von Punks, Redskins, Rastas und Arbeiterjugendlichen gegen Austerität, Arbeitslosigkeit und Polizeirepression. Ihre neuen Mythen, Outfits und Aufstandssounds wurden von der Industrie umgehend vermarktet.
In der Schweiz waren die Siebziger nicht etwa ruhig: Es gab regelmässig Demos und Ostermärsche der Friedens- und Abrüstungsbewegung. Nicht zu vergessen die Anti-AKW-Bewegung mit grossen Demos und brutalen Polizeieinsätzen vor dem AKW Gösgen, der elfwöchigen Besetzung der Baustelle des AKWs Kaiseraugst und Ende Februar 1979 ein Sprengstoffanschlag auf den zweistöckigen Kaiseraugst-Infopavillon, der bis auf das tragende Gerippe verbrannte. Aber eine solche Dichte an Bewegung, Emotionen und Mobilisierungen wie ab Mai 1980 während zwei Jahren war neu und übertraf auch die 68er-Bewegung. Man wollte prüde Bürger*innen schockieren, die bleierne Zeit beenden, aus vorbestimmen Rollen, Verhaltensmustern und Lebensläufen ausbrechen.

Feiern und streiten
Die Hausbesetzungs-Bewegung war teil der autonomen Bewegung, ebenso waren dies Punks, Freaks und Alternative, am Rand auch ein paar marxistische Student*innen, beobachtend, teilnehmend. In der Reitschule in Bern wurde gefeiert und gestritten, Demos und lustvoll-freche politische Aktionen wurden vorbereitet. Gesprayt wurde mit viel Spass und Arbeitseifer in kleinen und grossen Gruppen.
In den ehemaligen Reitschul-Stallungen tummelten sich 1981/82 in der geräumigen Bar vor der Küche viele Punks und Spontis. Skater*innen trainierten auf einer selbst gebauten Rollbrettbahn. Im Büro wurden «Telefonzitig» und «Drahtzieher» produziert. Im hölzernen Dachstock waren ein Übungsraum für Bands und die grosse Teestube der Freaks. Im Dachstock fanden die wöchentlichen Vollversammlungen und viele kleine und grosse Konzerte statt. Unschätzbar war der soziale Wert des Zusammenseins verschiedenster Leute und Gruppen, die durch ein gemeinsames Ziel und ein rebellisches Lebensgefühl zusammen gehalten wurden.

Wiedereingliederung
Konkrete Vorstellungen von einer kollektiven, sozialistischen Organisation von Wirtschaft, Politik und Zusammenleben und eine Perspektive über den lokalen Rahmen hinaus aber gab es kaum. Dies zum Einen weil marxistische Analysen und Erfahrungen von Organisation, Revolution und Sozialismus durch permanente antikommunistische Kampagnen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs grausam verketzert worden waren. Und die sozialpartnerschaftlich integrierten Gewerkschaften waren alles andere als mögliche Revolutionspartner. Die Kreativität der «Bewegung» wurde ab der repressiven reaktionären Welle 1982 von vielen dazu benutzt, um sich wieder in die bürgerliche Welt und den verschärfteren Wettbewerb zu integrieren. Die Bewegten landeten wieder in der Schule, der Arbeit, im Entzug, im Heim oder im Gefängnis, auch im Kleinunternehmertum. Bei vielen wurden die vagen anarchistischen Ideen nach dem Abflauen der Bewegung zu neoliberalen oder sozialdemokratischen umgebogen. Die ersehnte Revolution blieb ein heisser, wilder Sommertraum.