Der Streik der Westschweizer Lieferfahrer*innen von Smood hat sich auf mittlerweile elf Städte ausgeweitet. Der Druck steigt und so knicken selbst Marktgigantinnen wie die Migros vor den kämpfenden Kurier*innen ein. Der Arbeitskampf ist ein Beispiel, der Schule machen sollte.

Sie hatten Hochkonjunktur in den letzten zwei Jahren – Lieferdienste sprangen in die Lücke, als wir plötzlich von einem Tag auf den anderen nicht mehr in die Beiz, in die Kantine oder die Pizzeria nebenan konnten. Ob UberEats, Lieferando, Eat.ch oder eben Smood: Der Rubel rollt und eine Handvoll Unternehmen macht Milliarden mit dem Liefern von Essen. Während aber in den Teppichetagen fett abgesahnt wird – so wird das Vermögen von Smood-Gründer Marc Aeschlimann vom Wirtschaftsmagazin Bilanz auf etwa 150 bis 200 Millionen Franken geschätzt –, müssen die Fahrer*innen mit Hungerlöhnen von teils unter 16 Franken pro Stunde auskommen.
Die Folgen der boomenden Gig-Economy, bei der Arbeiter*innen nur für einzelne Aufträge bezahlt werden, sind massiv: Lieferfahrer*innen, die stundenlang unbezahlt auf Aufträge warten, Rechnungen für Reparaturen am Arbeitsgerät (also dem Lieferauto oder dem Fahrrad), die bei den Kurier*innen hängen bleiben, intransparente Lohnabrechnungen und eine Kontroll-App, welche die Fahrer*innen zu Konkurrent*innen um die knappen Schichten macht. Gegen solche unhaltbaren Zustände begannen die «Smoodeurs», wie die Westschweizer Presse die kämpfenden Kurier*innen allenthalben nennt, einen Arbeitskampf, der Schule machen sollte.

Yverdon-les-Bains war ein Funke
Schon vor der Pandemie machten schlechte Arbeitsbedingungen im Bereich der Kurierfahrer*innen Schlagzeilen. Im November 2019 berichtete das SRF über schlechte Löhne und nicht existente Spesenregelungen. Roger Rudolph, Arbeitsrechtler von der Universität Zürich meinte damit gegenüber dem Schweizer Fernsehen SRF: «Die Rechtslage ist sehr klar: Auslagen, sei dies für das Handy oder das Auto, müssen vom Arbeitgeber angemessen entschädigt werden.» Auch sei mit der Flexibilität, die von den Fahrer*innen erwartet wird, die Grenze des Zulässigen überschritten worden. Erste Gesprächsangebote der Gewerkschaften schlug man bei Smood noch aus, um dann doch zu einem Termin für Dezember 2019 zuzusagen.
Seither scheint sich aber nicht viel getan zu haben beim Konzern. Im November 2021 traten darum erst in Yverdon Fahrer*innen von Smood in den Ausstand. Dann folgten Kolleg*innen aus Neuenburg, Nyon, Sion, Martigny, Lausanne, Fribourg, Genf. In immer mehr Städten schlossen sich die Kurier*innen ihren kämpfenden Kolleg*innen an und machten den Arbeitskampf damit zu einem Flächenbrand, den man zumindest in der Romandie nicht aufhalten konnte. Es sollen sich inzwischen mehr als hundert Smood-Arbeiter*innen im Streik befinden. In einem SRF-Artikel von 2019 ist die Anzahl der Kurier*innen beim Unternehmen noch auf 400 geschätzt worden.
Und inzwischen hat der Arbeitskampf auch ökonomisch schmerzhafte Folgen für Multimillionär Aeschlimanns Konzern: Die Migros ist an Smood mit 35 Prozent beteiligt. Zwei Migros-Kader der Genossenschaft in Genf sitzen im Verwaltungsrat des Lieferriesen. Bislang konnte man sich die Artikel des Grossverteilers von Smood zu Ladenpreisen für neun Franken Liefergebühr innert 45 Minuten nach Hause liefern lassen. Ein gutes Geschäft sowohl für Migros als auch für Smood. Doch die schlechte Presse von Smood scheint für die Migros dann doch ein zu heisses Eisen geworden zu sein: In Zürich hat die Migros-Genossenschaft die Zusammenarbeit mit Smood bereits beendet. Und auch an anderer Front gerät Smood unter Druck: Dem Kanton Genf scheint der Streik zu lange zu gehen. Am 6.Dezember wurde bekannt gegeben, dass die kantonale Kammer für kollektive Arbeitsbeziehungen für eine Mediation herangezogen wird.

Grosse Unsicherheit
Die schlechte Arbeit bei Smood hat System – die Ausbeutungsmaschinerie eines Marc Aeschlimanns und seiner Komplizen steht nicht alleine da: So geriet 2019 UberEats in die Kritik, weil ihre Angestellten in einem Zustand der Scheinselbstständigkeit gehalten worden waren, damit sich das Multimilliarden-Unternehmen die Zahlung von Sozialleistungen sparen konnte. Das Muster ist bei allen dieser «Gig-Economy»-Konzernen gleich, ob es sich nun um AirBnB, Uber, Smood oder auch die diversen Online-Portale, die Reinigungsarbeiter*innen vermitteln, handelt: Die Flexibilität, die vorausgesetzt wird, bedeutet für die Unternehmen selber höhere Gewinne. Wenn man niemanden eingestellt hat, muss man in wenig profitablen Zeiten auch keine Personalkosten einsparen. Man vermittelt einfach weniger Aufträge an die Arbeiter*innen. Für die Angestellten bedeutet das aber massive Unsicherheit. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten kann so der Hungerlohn, den man bei Smood in 50-Stunden-Wochen mühsamst zusammenbüezt, plötzlich wegfallen.

Plattformarbeit stürzen
Von dieser Form moderner Tagelöhnerei haben bereits 25 Millionen Arbeiter*innen in der EU in diesem Segment ihre Arbeitskraft verkauft. Das sind elf Prozent der gesamten arbeitenden Bevölkerung der Europäischen Union. Gegen solche Unsicherheiten sind mehrere Staaten bereits vorgegangen. In Frankreich beschloss der oberste Gerichtshof 2020, dass Uber ihre Fahrer*innen nicht mehr als «Selbstständige» ausgeben darf. Und auch die EU kommt langsam auf die Idee, zu regulieren: Nachdem die betroffenen Arbeitgeber*innen das Zeitfenster das Brüssel zur «Selbstregulierung» gegeben hatte, verstreichen liess (als hätte irgendjemand mit einer Selbstregulierung wirklich realistisch gerechnet…), hat nun die EU-Kommission den Vorschlag eines Regelwerks für die Plattformarbeit vorgelegt. Doch die Konzerne wehren sich bereits. Uber, eine der Pionierinnen in Sachen Scheinselbstständigkeit, ist sich nicht zu schade die alte Lüge des Kapitals zu wiederholen: Durch Regulierung würden tausende Arbeitsplätze verschwinden. Besonders ist an dieser Argumentation nur, wie heuchlerisch und verlogen sie ist, weil die Arbeitsplattformen nach ihrer eigenen Logik ja keine Arbeitsplätze schaffen, sondern Geld an fremder Arbeit verdienen, die sie vermitteln. Und bewusst machen muss man sich auch, dass die Gig-Ökonomie vor allem reguliert wird, weil – man lese und staune – selbst der EU das Hochpeitschen der Scheinselbstständigkeit durch Uber, Smood und Co. zu bunt wurde.

Der Kampf geht weiter
Wegen des aktuellen Schlichtungsverfahrens der Genfer Regierung sind die Kampfmassnahmen vorläufig ausgesetzt. Bis der Schlichtungsversuch abgeschlossen ist, bezieht die Gewerkschaft Unia keine öffentliche Stellung zum Streik. Es ist durchaus denkbar, dass sich die Schlichtungsbehörde auf die Seite des Kapitals stellt. Doch egal, wie der Streik in der Romandie zu Ende geht: Er ist bereits jetzt zum Fanal für alle prekarisierten Plattformarbeiter*innen geworden. Die streikenden Fahrer*innen von Yverdon, Genf, Lausanne und all den anderen Städten, in denen die Smood-Arbeiter*innen in den Ausstand traten, sind für alle Lohnabhängigen zum leuchtenden Beispiel im Kampf gegen die moderne Tagelöhnerei geworden.