Mit dem Bundesgesetz für Polizeimassnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) sollen die Möglichkeiten von Schweizer Sicherheitsbehörden ausgeweitet werden. Dabei hatten diese in der Vergangenheit vor allem ein Talent dafür, ihre Kompetenzen massiv zu überschreiten.

Werden Schweizer*innen etwa leidenschaftlich gerne überwacht? Man könnte es fast meinen. Kaum ein Land in Europa hat derart frische und tiefgehende Erfahrungen mit der Massenüberwachung der eigenen Bevölkerung gemacht, wie die Schweiz. Und doch scheinen Herr und Frau Schweizer, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet – ob beim Bundesgesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, dem Nachrichtendienstgesetz oder nun höchstwahrscheinlich beim PMT – für die Ausweitung jener Überwachung zu stimmen.
Der Fichenskandal überragt die ganzen kleineren Überwachungsaffären. Er wurde aus dem Antikommunismus des Kalten Krieges heraus geboren. Die Sowjetunion ist untergegangen, der Antikommunismus ist geblieben – und auch der Fichenstaat. Nach aktuellster Kenntnis, sind immer noch 200000 Personen in der Schweiz fichiert. Doch die massenhafte Anlage von Akten über die Bevölkerung ohne deren Kenntnis darf nicht überschatten, dass Schweizer Sicherheitsbehörden chronisch dazu neigen, ihre Kompetenzen zu überschreiten oder zumindest ihren Spielraum bis zum Äussersten noch Vertretbaren auszureizen. Die Beispiele sind zahlreich: vom Fichenskandal über die Onyx-CIA-Affäre, Cryptoleaks, Mario Fehrs Trojaner-Skandal und aktuell die Repression gegen die Klimastreikbewegung.

Gebaren eines Polizeistaats
Kurz vor der Abstimmung über das PMT könnte man meinen, dass es im Interesse des Bundes wäre, den Ball flach zu halten. Dies, um und keinen begründeten Anlass für die Furcht zu geben, dass eine Annahme des PMT zu einem weiteren Angriff auf die Grundrechte führt. Doch Bundesrätin Karin Keller-Sutter scheint sich um solche diplomatischen Feinheiten nicht zu scheren. Kürzlich ermächtigte sie einen Polizeieinsatz gegen Klimaaktivist*innen im Waadtland. Die Bundespolizei drang in die Wohnungen der Betroffenen ein, stellte Festplatten sicher und beschlagnahmte auch alle elektronischen Geräte. Das Corpus Delicti? Ein offener Brief, in dem Klimastreikende 2020 zur Verweigerung des Militärdienstes aufgerufen hatten. Besonders pikant: In ihrem Überwachungsrausch haben die Sicherheitsbehörden nicht nur extrem fragwürdig agiert, was Freiheitsrechte und Würde der von ihnen Drangsalierten betrifft, sondern es darf auch bezweifelt werden, wie kompetent sie vorgingen. Denn scheinbar haben sie nicht einmal die Urheber*innen des offenen Briefes in die Finger bekommen. Die Razzien fanden bei den Aktivist*innen statt, da einer bei der Online-Plattform LinkedIn angab, auch schon Medienmitteilungen für die Klimastreikbewegung verfasst zu haben. Und bei einem weiteren Aktivisten kam es zur Hausdurchsuchung, weil er auf der lokalen Klimastreikhomepage als Administrator aufgeführt worden war.
Gegenüber der Klimabewegung gebart sich die Schweiz kurz vor einer Ausweitung der Kompetenzen der Sicherheitsbehörden wie ein waschechter Polizeistaat. Der Aufschrei darob ist da. Aber vermutlich wird er nicht ausreichen, um zu verhindern, dass rund zwei Drittel der Bevölkerung für mehr Repressionsmittel stimmen.

Nicht nur staatlich
Eine lächerliche Geheimnistuerei hat in der Schweiz beinahe den Charakter von guten Manieren. Umso abstruser ist es, wie bereitwillig Invasionen in die private Sphäre durch den bürgerlichen Staat akzeptiert und hingenommen werden. Gerne wird angeführt, dass solche Massnahmen nötig seien, um die Gesellschaft zu schützen. Das Bild von gefährlichen Terrorist*innen, den umtriebigen, im Untergrund agierenden Revolutionär*innen, vom Bomben schmeissenden Anarchist*innen wird beschworen. Bei den Terrorist*innen von Rechts schaut man aber weg, selbst dann, wenn sie sich, wie der mörderisch Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), das Arsenal für ihre Morde in der Schweiz beschaffen.
Die Heuchelei ist dabei noch eine Doppelte: Die rechte Gewalt wird vom bürgerlichen Staat verharmlost, während fortschrittliche Aktivist*innen zu Unrecht kriminalisiert werden. Und hinzu kommt, dass darüber hinaus die Überwachung auch bei Leuten zum Mittel der Wahl wird, von denen zweifellos keinerlei terroristische Gefahr für irgendjemanden ausgeht. So votierte das Zürcher Stimmvolk im Frühling für ein Gesetz, mit dem Gemeinden Sozialhilfeempfänger*innen beschatten lassen dürfen. Besonders pikant dabei: Die Sozialhilfespitzel werden als Privatdetektive von den Gemeinden mit Steuergeldern angeheuert, um Teile der Bevölkerung zu observieren. Was nach einer monströsen Verflechtung von Staat und Spitzelindustrie klingt, hat System und Tradition: Spätestens mit der Zuträgerkartei des Freisinnigen Politikers und Zürcher Gewerbeverbandspräsidenten Ernst Cincera begann diese Zusammenarbeit bereits während des Kalten Kriegs.

Klarer Klassencharakter
Insofern geht die Schweiz mit dem Bündel an Repressionsmassnahmen, die mit den PMT für Unschuldige auf Verdacht hin möglich werden, einen Weg weiter, den sie schon seit Jahrzehnten beschreitet. Und ebenso wie in der Vergangenheit werden die Sicherheitsbehörden auf den erweiterten Spielraum so reagieren, um ihn noch weiter auszureizen. Der Charakter, den diese Überwachung trägt, ist deutlich: Während Kapitalist*innen so tun, als sei der Blick auf ihr Konto eine Verletzung elementarters Persönlichkeitsrchte se, können Aktivist*innen heute schon aufgrund lächerlich fadenscheiniger Indizien kriminalisiert werden. Parteien und Verbände heulen, dass es doch nicht anginge, ihre Spender*innen bekannt zu machen, damit auch ja keine Interessenbindungen bekannt werden. Gleichzeitig müssen jedoch Armutsbetroffene damit rechnen, dass ihr Recht auf eine würdige Privatsphäre mit den Füssen getreten, sie ausspäht und observiert werden.

Nötig ist eine linke Perspektive
Dieses System von Überwachung und Repression dient in der Schweiz einzig den Interessen der Besitzenden. Es macht nichts sicherer und ist ein Instrument zur Bekämpfung politischer Opposition und zur sozialen Kontrolle der Bevölkerung. Und weil es ein System ist, dass im Verborgenen agiert, dürfen wir davon ausgehen, dass selbst eine Regulierung dieser Repressionsorgane keine Besserung bringen würde. Eben auch deswegen, weil der Staat durch seine Geheimdienste doch wieder und wieder seine Kompetenzen überschreitet und Recht brechen würden.
Eine linke Perspektive muss weiter gehen, als der Polizei und dem Nachrichtendienst weitere Repressionsmittel einfach nur zu verweigern. Sie muss die Perspektive auf ein Ende der Polizei und der Nachrichtendienste sein.