Konservative und rechtsreligiöse Kreise haben gegen die Gesetzesvorlage des Parlaments «Ehe für alle» aus absurden Gründen das Referendum ergriffen. Deshalb wird Ende September über gleiche Rechte für homo- und bisexuelle Paare abgestimmt.

Paare desselben Geschlechts sollen die gleichen Rechte haben wie Paare verschiedenen Geschlechts und zivil heiraten können. «Mit der ‹Ehe für alle› wird die heutige Ungleichbehandlung beseitigt. Für die Ehe zwischen Frau und Mann ändert sich nichts», betont die Landesregierung, «Bundesrat und Parlament empfehlen in der Abstimmung vom 26.September 2021 ein Ja.»
Die zur Abstimmung vorliegende Vorlage geht zurück auf eine Parlamentarische Initiative der grünliberalen Fraktion. Gleichgeschlechtliche Ehepaare hätten nach der Annahme der Vorlage – wie ungleichgeschlechtliche – das Recht auf erleichterte Einbürgerung, familiäres Erbrecht und verheiratete Frauenpaare auf die Samenspende. Eizellenspende und die Leihmutterschaft bleiben hingegen weiterhin für alle verboten und könnten allenfalls im Fortpflanzungsgesetz neu geregelt werden.

Grosser Aufwand
Das geltende Partnerschaftsgesetz (PartG) ermö-glicht gleichgeschlechtlichen Paaren die amtliche Eintragung ihrer Beziehung. Konservative, rechtsreligiöse Kreise ergriffen das Referendum gegen das Gesetz. Die Eintragung der Partnerschaft bedeutet, dass gleichgeschlechtliche Paare heterosexuellen Ehepaaren gleich gestellt sind in der Unterstützungspflicht, im Steuerrecht und bei der AHV. Bereits seit 2013 können eingetragene Partner*innen einen gemeinsamen Familiennamen tragen. Das PartG wurde 2005 von der Stimmbevölkerung mit 58 Prozent der Stimmen angenommen und trat per 1.Januar 2007 in Kraft. Die Gegner*innen des Gesetzes meinten im Abstimmungskampf, es schwäche die Stellung der Familie, beschleunige die Einführung der Adoptionsmöglichkeit für gleichgeschlechtliche Paare und verursache für einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung einen unverhältnismässig grossen Aufwand. Eine Gegnerin entblödete sich in einer TV-Diskussion zu argumentieren, wenn das so weitergehe, würden bald auch Pädophilie und Sex mit Tieren (Sodomie) legalisiert.

Eckpfeiler der Wirtschaft
Die Gegner*innen der Eingetragenen Partnerschaft und der Ehe für alle halten stur und panisch am erzreaktionären, homophoben, diskriminierenden Bild der perversen Aussenseiter*innen fest, ohne diese oder ähnliche Titulierungen direkt auszusprechen. Nur die Verbindung von Mann und Frau habe «aus sich heraus die Fähigkeit zur Weitergabe des Lebens», steht auf der Webseite des Referendumskomitees. Deshalb sei sie «als zentraler Eckpfeiler von Staat und Gesellschaft» (die Wirtschaft lassen sie aus) zu schützen. Die Gegner*innen machten in der parlamentarischen Debatte mächtig Druck und drangen mit ihrer Forderung nach einer Abklärung der Verfassungsmässigkeit des vorgeschlagenen Gesetzes nicht durch. Vor allem die Samenspende wollten sie rechtlich überprüfen lassen.
Braucht es für die «Ehe für alle» eine Verfassungsänderung? Diese Frage beantwortet das Pro-Komitee mit einem klaren Nein: «Gestützt auf zahlreiche Rechtsgutachten haben der Bundesrat und das Schweizer Parlament zu Recht entschieden, dass es für die ‹Ehe für alle› keine Verfassungsänderung braucht und eine Gesetzesänderung der richtige Weg ist.». Das Pro-Komitee weiter: «In Artikel 14 der Schweizerischen Bundesverfassung (BV) steht: ‹Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet.› Das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung werden nirgendwo erwähnt. Auch der Artikel über die Fortpflanzungsmedizin (Art. 119 BV) schliesst gleichgeschlechtlich liebende Menschen nicht aus.»

Realitätsfremde Argumente
Die Bekämpfer*innen des neuen Gesetzes argumentieren auch mit dem «Kindswohl». Sie meinen damit das Recht der Kinder auf ein für prüde Religiöse unverdächtiges heterosexuelles Elternpaar. Angesichts der vielen allein erziehenden Mütter, zerrütteten und geschiedenen Ehen sowie psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt in vielen Ehen erscheint diese Idealisierung sehr realitätsfremd.
«Unterschiedliche Familienentwürfe und Familienmodelle sind heutzutage längst Realität und fester Bestandteil unserer Gesellschaft, und sie werden immer zahlreicher», hält dagegen das Pro-Komitee in seinem Argumentarium fest. «Die Wissenschaft ist sich zudem einig: Gleichgeschlechtliche Paare sind genauso gute Eltern wie heterosexuelle Paare. Denn? Kinder brauchen in erster Linie feste und liebevolle Bezugspersonen, ganz unabhängig von deren Geschlecht oder sexueller Orientierung.»

Keine Privilegien
Mit der «Ehe für alle» und allen vorderen Vorlagen für Gleichberechtigung von homo- und bisexuellen Menschen wird laut der Gegnerschaft eine «Salamitaktik» verfolgt, um einer Minderheit «Privilegien» zu verschaffen. Da sind die Befürworter*innen ganz und gar nicht einverstanden: «Gleichberechtigung ist keine Salamitaktik, sie steht jedem Menschen unabhängig von? seiner Lebensform zu (1 Art. 8 Abs. 2 Bundesverfassung). Es ist eine absolut übliche Entwicklung, dass bei gesellschaftspolitischen Themen Gesetze angepasst werden, wenn sich Wertvorstellungen in der Gesellschaft geändert haben.» Die Akzeptanz von LGBTIQ-Personen habe in den letzten vierzig Jahren in der Schweiz massiv zugenommen: «Mehrere Abstimmungen verdeutlichen dies: 58 Prozent Ja-Stimmen für das Partnerschaftsgesetz 2005, deutliche Mehrheit im Parlament für die Stiefkindadoption 2016, 65 Prozent Ja-Stimmen für die Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm durch den Begriff der sexuellen Orientierung 2020.» Weiter halten die Befürworter*innen fest: «Jede dieser bedeutsamen Abstimmungen widerspiegelt einen Schritt in Richtung Gleichstellung der LGBTIQ-Personen, und die ‹Ehe für alle› ist ein weiterer, wichtiger Schritt auf diesem Weg.»