Mit den aktuellen Hitzewellen drängt die Frage des Gesundheitsschutzes wieder verstärkt ins Bewusstsein. Ohne bindende Regeln, die das Einstellen der Arbeit ab gewissen Temperaturen vorsehen, werden noch mehr Menschen für die Lohnarbeit ihre Gesundheit ruinieren.
Während es viele auf der Suche nach Abkühlung an die Seen und Flüsse zieht und andere versuchen sich in Büros oder an Verkaufskassen die Hitze mit Ventilatoren und derlei vom Leib zu halten, müssen auch dieser Tage Zehntausende Bauleute in der Gluthitze krampfen.
Dabei macht ihre Arbeitsumgebung den Bauar-beiter*innen den Arbeitsalltag noch lebensfeindlicher. Während Temperaturen wie bei der Hitzewelle Ende Juli für viele Kranke, Alte und Schwache rasch zur lebensgefährlichen Bedrohung werden kann (in Portugal und Spanien sind an den Folgen der Hitze von bis zu 45 Grad etwa 2000 Personen verstorben), sorgen Asphalt, Stahlträger, Dachsteine und so weiter dafür, dass die Temperaturen, denen Bauleute ausgesetzt sind, oft noch viel höher sind. Für Strassenbauarbeiter*innen ist Schatten rar. Der Asphalt, mit dem sie die Strassen decken, wird bei 160 Grad Celsius angemischt und hat immer noch 150, wenn er verlegt wird. Und auch der fertig ausgehärtete Asphalt ist eine Gefahr: Bei 30 Grad Lufttemperatur kann er sich auf bis zu 60 Grad aufheizen, bei 40° Grad Lufttemperatur sind es bis zu 80 Grad!
Verbindliche Regeln fehlen
Vergleichbare gesundheitsschädliche Bedingungen haben Dachdecker*innen durchzustehen. Bis zu 90 Grad können Dachsteine (vor allem die dunklen) ohne weiteres erreichen, wenn sie sich stundenlang in der Sonne aufgeheizt haben. Muss geschweisst werden, wird es noch bedrohlicher für die Arbeiter*innen. Es muss unumwunden und deutlich gesagt werden: Solche Arbeitsbedingungen können lebensgefährlich sein! Umso wichtiger, dass für die Arbeiter*innen rasch eine Lösung gefunden wird. Doch die lässt, laut Christian Capacoel, Leiter Kommunikation & Kampagnen der Gewerkschaft Unia, auf sich warten, wie er im Gespräch mit dem vorwärts erklärt: «Verbindliche Regeln in diesem Sinn gibt es nicht. Wir haben Handlungsanweisungen vom Seco und der SUVA, die wir Gewerkschaften als Hebel nutzen können. Das ist alles sehr komplex, wie hoch ist die Luftfeuchtigkeit, hat es Sonne, wie stark ist die Anstrengung der Arbeit und so weiter. So sind im Alltag solche Massnahmen schwer umzusetzen.»
Natürlich hätten die Unternehmer*innen die Pflicht, die Gesundheit der Arbeiter*innen zu gewährleisten. Und auch weitere Richtlinien könnten zur Anwendung kommen. «Beispielsweise, dass bei mehr als 30 Grad fünf Minuten länger Pause bei körperlicher Anstrengung pro Arbeitsstunde gilt. Bei über 35 Grad sind es 15 Minuten», so Capacoel. Wirklich anwendbar seien diese Richtlinien aber nicht. Daher müssen laut dem Kollegen Capacoel endlich klare und verbindliche Regeln für den Schlechtwetterschutz festgelegt werden. Das bedeutet, dass eine klare Definition eingeführt werden müsste, ab wann nicht mehr gearbeitet werden kann. Und wegen der Entwicklung des Klimas, der immer häufigeren extremen Wetterereignisse muss so eine Lösung rasch her.
Für Profit verheizt?
Auch wenn aktuell im Bewusstsein vor allem der Schutz vor gesundheitsgefährdender Hitze eine Hauptrolle spielt, muss klar gemacht werden, dass sich die Problematik des Gesundheitsschutzes nicht bei hohen Temperaturen und brennender Sonne erschöpft. «Im Sommer denken wir natürlich vor allem an die Hitze – der Schlechtwetterschutz betrifft aber auch Kälte und Nässe. Es geht insgesamt um extreme Wetterbedingungen», führt Christian Capacoel aus. Und wenn die Thematik in ihrer Vollständigkeit betrachtet wird, muss auch über weitere extreme Wetterphänomene bis hin zu Naturkatastrophen gesprochen werden. Es ist nicht einmal ein Jahr her, als im Dezember 2021 in einer Kerzenfabrik in Kentucky acht Arbeiter*innen und in einem Amazon–Warenhaus in Illinois sechs Arbeiter*innen starben, als ihre Arbeitsplätze von einem Tornado verwüstet wurden. Sie starben, weil ihre Arbeitsstellen auf dem Weg eines zerstörerischen Sturms lagen und ihre Vorgesetzten in Kauf nahmen, diese 14 Arbeiter*innen für den Profit zu opfern.
Sie starben aber auch, weil sie keine starke Organisation, keine schlagkräftige Gewerkschaft im Rücken hatten, die die Unternehmensführung hätte zwingen können, die Arbeit einzustellen. Denn das ist es, was wir in den nächsten Jahren als politische Linke gemeinsam mit den Organisationen der Arbeiter*innen forcieren müssen: Denn Schutz des Lebens und der Gesundheit gewährleisten, auch wenn das heisst, dass dieser oder jener Kapitalist weniger Profit macht. Ja, selbst wenn es bedeutet, dass dieser oder jener Kapitalist bankrott geht. Denn keine Arbeitsstelle ist es wert, sich für sie zu Tode zu krampfen.
Lösungen sind möglich
Der Kampf für klare und bindende Regeln in Sachen Schlechtwetterschutz für die am stärksten betroffenen Arbeiter*innen, ist daher in den nächsten Monaten und Jahren elementar. Und das Klagen der Bürgerlichen und der Patrons, dass solche Massnahmen im modernen Kapitalismus nicht angehen, sollten, wie Christian Capacoel ausführt, nicht allzu ernst genommen werden: «Lösungen sind möglich. Ein Beispiel: In Österreich besteht eine Regelung, ab wann die Arbeit eingestellt wird, ebenso im Strassenbau im Tessin wie auch im Kanton Waadt.» Der Gewerkschafter führt hinzu: «Wir können das schweizweit mit einer allgemeinen Lösung für alle Unternehmen regeln. Dann haben die Unternehmer*innen eben auch ihre berühmten gleich langen Spiesse und die Arbeiter*innen endlich einen vernünftigen Schutz vor extremen Witterungsbedingungen bei der Arbeit!»