Am 22. Juni wurde die sozialistische Kulturorganisation «Kultur und Volk» wiederbelebt. Der Verein blickt auf eine lange und bewegte Geschichte zurück und soll – so wie damals – fortschrittliche Kultur erfahren und fördern. Vor ihm liegen die «Mühen der Ebenen».

Gute, positive Nachrichten für linke Kultur haben Seltenheitswert. Umso schöner, über eine berichten zu können. «Der Verein ‹Kultur und Volk› wurde, nachdem er um 1990 eingeschlafen ist, am 22. Juni 2022 wieder reaktiviert», schreibt der Verein in seiner Medienmitteilung. In Zürich trafen sich mehrere ehemalige Mitglieder und neuinteressierte Personen zur Vereinsversammlung und wählten dabei einen neuen Vorstand. «Mit Ernesto Wowes wurde ein langjähriger linker Aktivist und Kulturschaffender zum Präsidenten des Vereins gewählt», informiert Kultur und Volk (KuV) weiter.

Eine der treibenden Kräfte der Wiederbelebung von KuV ist Ueli Schlegel, der in den neuen Vorstand des Vereins gewählt wurde. Gefragt nach den Gründen und seiner Motivation, antwortet er: «Ich erinnere mich an sehr spannende, teilweise kontradiktorische Anlässe, Ausstellungsbesichtigungen, Vorträge auf allen Gebieten der Kunst, vor allem aus den 1970er und frühen 1980er-Jahren, die ganz anders waren als bürgerliche Veranstaltungen. Irgendwie fehlte mir nach dem Verschwinden von KuV etwas, es war wie eine Lücke im Kulturbereich.» Er fügt hinzu: «An der Jahresversammlung vom 22. Juni hörte ich auch von anderen Anwesenden ähnliche Aussagen.»

Nicht nur für Reiche

Der Weg bis zu dieser Jahresversammlung dauerte – auch bedingt durch die Pandemie – mehrere Jahre und war nicht einfach. Dies zeigt auch die Anekdote zu den Statuten des Vereins. Niemand der rund 30 kontaktierten ehemaligen Mitgliedern von KuV hatte eine Kopie aufbewahrt. Fündig wurde man dann in der Zentralbibliothek Zürich. Unter der Signatur Ar104 sind in der Handschriftenabteilung Tausende von Akten über Kultur und Volk abgelegt. «Sie stammen aus der ‹Stiftung Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung›, die 1971 von Amalie und Theo Pinkus gegründet worden war», ist auf der Website von KuV dazu zu lesen. Beschlossen wurden die Statuten an der «Vereinsversammlung vom 29. Juni 1945», mit dem Hinweis, dass sie «diejenigen vom 20. Februar 1939» ersetzen.

Die Geburt von KuV liegt aber noch ein paar Jahre weiter zurück. Gegründet wurde der Verein 1935 von Mathilde Danegger und Wolfgang Langhoff, zwei deutsche Schauspieler*innen und Anti-faschist*innen, die vor den Nazis in die Schweiz geflohen waren. «Den Gründungsmitgliedern ging es einerseits darum, Kunst und Kultur nicht nur den Reichen, sondern auch Arbeiter*innen und möglichst breiten Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen und andererseits den ausgrenzenden und rassistischen Propagandisten der Nazis eine offene, humanistische und in die Zukunft weisende Kulturtheorie und -praxis entgegenzusetzen», hält KuV in der Medienmitteilung fest.

Sozialistischer Humanismus

Ob die Statuten aus dem Jahr 1945 noch die aktuellen sind, heisst, ob seit damals keine Änderungen mehr vorgenommen wurden, ist unklar. Diese offene Frage mag Historiker*innen interessieren, für die Zukunft von KuV spielt sie jedoch keine zentrale Rolle. Wichtiger ist der Inhalt der Statuten. Artikel 1 «Bestand und Zweck» hält fest: «Die Vereinigung Kultur und Volk steht auf dem Boden eines fortschrittlichen sozialistischen Humanismus. Sie stellt sich die Aufgabe, breitesten Volksschichten die Kulturgüter von Vergangenheit und Gegenwart im grösstmöglichen Ausmass zugänglich zu machen.» Und: «Sie sucht diese Aufgabe zu erfüllen durch literarische, künstlerische und musikalische Veranstaltungen, Durchführung oder Vermittlung von Theatervorstellungen und Filmvorführungen, durch Ausstellungen und Führungen durch solche.» Und so wie damals sind es auch heute die Ziele von KuV – und für deren Erreichung kann der Verein (so wie damals) auf die Unterstützung dieser Zeitung zählen.

Der Verein blickt auf eine lange, bewegte und stolze Geschichte zurück. «Sehr spannend und überraschend war, wie gut und unbeeindruckt vom Antikommunismus und Kalten Krieg sich KuV in den 1950er- und -60er-Jahren hielt, obschon sicher viele Aktivist*innen grosse persönliche Nachteile erlitten», sagt Ueli Schlegel dem vorwärts. In jener Zeit lud KuV immer wieder Schriftsteller*innen und Künstler*innen aus den sozialistischen Ländern in die Schweiz ein, aber auch Intellektuelle zum Beispiel aus Frankreich und der BRD. Schlegel: «Ganz offensichtlich zogen viele Veranstaltungen, die zum Teil fast im Wochentakt stattfanden, sehr viele Menschen an, die sich aus verschiedensten Gründen nicht mit der Gleichschaltung zur Zeit des Kalten Kriegs abfinden wollten. KuV war sehr widerständig.»

Mitarbeit willkommen

Wie geht es jetzt nach der Jahresversammlung weiter? Vorstandsmitglied Ueli Schlegel: «Wir werden nun im Vorstand versuchen, eine gemeinsame kulturpolitische Linie zu finden. Ob das gelingt, wissen wir noch nicht.» Ein Prozess, der kein Schnellschuss sein darf. So gibt sich der Verein ein bis zwei Jahre Zeit, um die nötigen – womöglich auch kontroverse Diskussionen – gut führen zu können. «Die Mühen der Berge haben wir hinter uns, vor uns liegen die Mühen der Ebenen» (Bertolt Brecht), schreibt KuV in der Medienmitteilung. Treffend auf den Punkt gebracht, vor allem in einer Zeit und in einer kapitalistischen Welt, in der Kultur immer mehr zum billigen Konsumkitsch- und Schrott degradiert wird. Und so hofft der Verein «auf die tatkräftige Mithilfe aller früheren und zukünftigen Mitglieder».

Weitere Infos und Anmeldung:

kultur-und-volk.ch