Willkür, Repression, unhaltbare Zustände, mangelnder Gesundheitsschutz – das Zürcher Asylwesen macht seit Monaten Schlagzeilen. Doch die Verantwortlichen schiessen bei Kritik zurück. Damit werden Mario Fehr und sein Departement nicht nur für die SP, sondern für den ganzen Kanton zur Hypothek.
«Ein krasser Missbrauch des Strafrechts» sei es gewesen, zumindest laut einer Medienmitteilung der Zürcher Sicherheitsdirektion, die selber aber vielleicht als «krasser Missbrauch einer kantonalen Kommunikationsabteilung» bezeichnet werden kann. Die Rede war von «Fake News». Davon, dass die Anklage von «abgewiesenen Asylsuchenden» komme. Also von einem Menschenschlag, der sich aus Sicht mancher gar nicht zu Wort zu melden habe, so zum Beispiel jene der Zürcher Sicherheitsdirektion und ihrem Regierungsrat. Aber nicht nur, dass es eigentlich nichts zur Sache tut, woher die Anzeige kommt, es ist auch noch gelogen, denn: Mehrere der Anzeigestellenden befinden sich aktuell in einem regulären Asylprozess.
Gemeint ist die Strafanzeige, die von Solidarité sans frontières und den Demokratischen Jurist*innen Schweiz gegen Mario Fehr, die Ende Mai wegen der Zustände im Zürcher Asylwesen eingereicht wurde (siehe vorwärts-Nr. 19/20 vom 5.Juni). Als Journalist in der Schweiz ist man sich eigentlich nicht gewohnt, dass eine offizielle Stelle eine Anzeige geradeheraus als «politisch» und gleichzeitig die Ankläger*innen in den Medien zu verfemen versucht. Doch die Anzeige gegen Fehr steht nicht nur für sich, sondern ist bezeichnend für die Amtsführung eines Regierungsrats, der so gerne mit harter Hand regiert, dass daran die Widersprüche der Sozialdemokratie zum Thema Regierungsbeteiligung aufbrechen.
Alle Jahre wieder
Tatsächlich ist an der momentanen Causa Fehr gegenüber den vergangenen den Skandalen und Skandälchen, wie der Anschaffung von Überwach-ungssoftware ohne juristische Grundlage, die 2015 durch Wikileaks bekannt wurde, nichts neues. Auch damals war der Direktionsvorsteher nicht für Kritik zu haben. Er sistierte seine Mitgliedschaft in der SP, bis das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde. Als Fehr 2016 plante, mit einer täglich zweimal gültigen Meldepflicht für Bewohner*innen von Notunterkünften die Situation im Zürcher Asylwesen weiter zu verschärfen (die eidgenössische Kommission gegen Rassismus wertete dies in einem Bericht als «unverhältnismässige» Massnahme), kam es zum Konflikt mit seiner eigenen Partei. Nach öffentlicher Kritik an Mario Fehr, die dessen politischer Verbündeter, der damalige SP-Präsident im Kanton, Daniel Frei, zu verschönern versuchte, entbrannte ein Konflikt, der Frei das Amt kostete. Nach viereinhalb Jahren trat er infolge der Streitigkeiten zurück. Er habe sein Amt nicht mehr so ausüben können, wie er wollte. Fehrs Verbündeter Frei verliess, wie nicht lange zuvor Chantal Galladé, im Mai 2019 die SP in Richtung GLP. Der Konflikt schien aber Fehr nicht völlig durchgestanden. 2018, vielleicht auch in Hinblick auf die damals bevorstehenden Regierungsratswahlen, gab es mehrere Imageauftritte vom Vorsteher der Sicherheitsdirektion. Die Ablehnung von elektronischer Überwachung von Sozialhilfebezüger*innen durch die Sicherheitsdirektion und die Annahme von ein paar Dutzend Härtefallgesuchen sollte wohl das Ansehen des sozialdemokratischen Sicherheitsvorstehers innerhalb der Linken aufpolieren.
Ein Regierungsrat der Rechten
Die damaligen Versuche, Kreide zu fressen, scheinen nicht wirklich geholfen zu haben. Im April 2020 kam der Konflikt wieder auf. Es ging um die Unterkünfte in Urdorf, wo Asylsuchenden wegen der unterirdischen Unterbringung nicht ausreichend Schutz vor einer Ansteckung gewährleistet werden konnte. Während im Militär die Unterbringung von Soldat*innen in Zivilschutzanlagen vom Oberfeldarzt selber verboten wurde, wurden bei Flüchtlingen solche Überlegungen offensichtlich nicht angestellt. Die schlechtschweizerische Haltung «Sollen sie doch froh sein, dass sie den Bunker bekommen!», scheint sich wieder durchgesetzt zu haben. Wie schlecht die Zustände in den Unterkünften ist, zeigt ein Video, dass im April der WOZ zugespielt wurde. Darin zu sehen sind sechs bis zehn Personen, die sich eine Unterkunft von knapp zwölf Quadratmetern teilen müssen. Die Szenen decken sich mit Aussagen von Asylsuchenden, mit denen der vorwärts im Juni gesprochen hatte: «Vor dem Virus waren wir sechs Personen in einem Zimmer, und jetzt sind wir neun Personen in einem Zimmer! Ich weiss, wir dürfen gar nicht klagen, aber es ist echt schlimm und traurig und unmenschlich.»
Laut Fehr und seiner Direktion sei das reine Stimmungsmache. Doch wie schon 2016 sorgte sein Vorgehen in Sachen Asyl für den Konflikt mit seiner Partei. Dafür halten ihm Bürgerlichen den Rücken frei: Die SVP veröffentlich Medienmitteilungen um den SP-Regierungsrat zu verteidigen; die NZZ schreibt Meinungsartikel gegen das juristische Vorgehen gegen die Missstände im Asylwesen, den dies würde die Fronten verhärten und die Diskussion verunmöglichen. Dabei scheint man Folgendes zu vergessen: Es geht nicht darum, zu diskutieren, sondern Flüchtlingen menschenwürdige und sichere Unterkünfte zu bieten.
Es lässt sich recht leicht zusammenfassen, dass Fehr nicht im Interesse der Sozialdemokrat*innen agiert und dass die Sozialdemokrat*innen nicht in ihrem eigenen Interesse agieren, wenn sie Fehr immer wieder nominieren.
Nächster Knall um die Ecke
Doch auch wenn die Anzeige gegen Fehr abgewiesen wurde, müssen wir nicht erwarten, dass es zukünftig keine Reibereien um die Situation von Geflüchteten mit dem Exekutivpolitiker geben wird. Anlässe, die Zürcher Sicherheitsdirektion zu kritisieren, gibt es immer und immer wieder. Vor Kurzem rügte das Bundesgericht den Kanton wegen seiner Ausschaffungspraxis: Zwar wurden wegen der Covid19-Pandemie Ausschaffungen ausgesetzt, doch anders als in vielen anderen Kantonen gab es für abgewiesene Asylsuchende immer noch Ausschaffungshaft. Ebenso sorgt der Zwang, zwei Mal täglich eine Unterschrift abgeben zu müssen, um Nothilfe zu erhalten, für Proteste. Eine Gruppe von Abgewiesenen, die gegen diese Praxis aktiv wurde, erhielt vom Zürcher Sozialamt laut einer Medienmitteilung nicht einmal ein Gesprächsangebot, sondern nur ein «Nein» als Antwort.
Beide Massnahmen scheinen nicht viel mehr zu sein, als Schikane. Schikane aber, die einen nicht zu erstaunen braucht, solange das Hauptinteresse in den Exekutiven darin besteht, sich bei Bürgerlichen mit möglichst heftiger Repression gegenüber Geflüchteten als Verbündeter anzubiedern.