Es ist bald soweit: Worauf freut ihr euch besonders am 14. Juni und warum?

Sevin: Es kommen ganz viele Frauen* zusammen, es wird sehr bunt und laut werden. Dieses Zusammentreffen, das gemeinsame Kämpfen ist eine Stärkung für alle Frauen*, die daran teilnehmen werden. Es wird eben ein Streik, darauf freue ich mich.

 

Was macht dich so sicher, dass die Frauen* gestärkt werden?

Sevin: Die Frauen* finden neue Inputs, sie vernetzen sich, Hemmschwellen werden überwunden, die Kreativität inspiriert gegenseitig und es gibt vor allem eine grosse Solidarität mit verschiedenen Themen, die im Alltag gar nicht so sichtbar waren. Das alles ist ganz klar eine Stärkung.

Rita: Ich freue mich, dass die Frage der Gleichstellung wieder ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt wurde. Lange schien es so, als ob die ganze Problematik eingeschlafen sei, dass eben alles gut sei. Aber das ist es bei Weitem nicht so, wir Frauen* werden nach wie vor von der Gesellschaft in eine Rolle gezwängt. Dank dem Streik vom 14. Juni wird jetzt darüber breit diskutiert und geredet.

 

Welche Rolle zwingt die Gesellschaft den Frauen* auf?

Rita: Das konservative Frauen*bild, die Rolle der Mutter und Hausfrau vom Kinderkriegen bis zum Erledigen des Haushalts, von der unbezahlter Pflegarbeit im Rahmen der Familie und und und…

Sevin: Die typischen Rollenbilder eben, die wir durchbrechen müssen.

 

Ihr habt aktiv im Frauen*komitee in Zürich mitgewirkt. Was sind die positiven Aspekte im Komitee?

Rita: Der gemeinsame Wille und die Fähigkeit, einen Konsens zu finden. Das war natürlich bei den vielen verschiedenen Meinungen, politischen Hintergründen und Vorstellung mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Zu Beginn war es recht harzig, doch dann kam ein richtiger Schub und es ging rasch und sehr gut vorwärts. Dieser Schub kam, als die politischen Positionen und Ideologien der einzelnen Gruppen, Organisationen und Parteien auf die Seite und das Gemeinsame, das heisst die gemeinsamen Probleme, Interessen und Ziele in den Vordergrund geschoben wurden.

Sevin: Positiv ist sicher die Vielfallt der Frauen* und der Ideen. Auch die Tatsache, dass Frauen*, die bisher nicht so politisch aktiv waren, an die Sitzungen kamen und sich engagierten. Ich möchte auch die Einsicht unterstreichen, die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen. Das war so quasi der gemeinsame Nenner, um das Manifest zu verabschieden und den Frauen*streik hier in Zürich überhaupt organisieren zu können.

 

Und was ist dieser gemeinsame Nenner genau?

Rita. Die Tatsache, dass die Gleichstellung in der Realität gar nicht vorhanden ist. Es ist ein Gesetz da, das eigentlich nur ein Stück Papier ist und das Alltägliche, die Realität von uns Frauen* geht vergessen.

Sevin: Die alltägliche Realität von uns Frauen* ist der gemeinsame Nenner.

 

Was waren die Schwierigkeiten innerhalb des Komitees?

Rita: Zu Beginn bestand die Schwierigkeit darin, sich zu finden. Nochmals: Das Komitee besteht aus Frauen* der Gewerkschaft bis hin zu autonomen Frauen*gruppen. Somit sind auch die verschiedensten Meinungen vorhanden aber nicht nur, sondern auch – ja sogar vor allem – verschiedene Arten und Vorstellungen Politik, zu machen. Das war kein einfacher Prozess.

Sevin: Wir mussten uns alle mal kennen lernen, den gegenseitigen Respekt und das Verständnis aufbauen. Wobei, ich würde es gar nicht als Problem bezeichnen. Dieser Prozess war einfach nötig, es war im Grunde ein normaler Verlauf, den ich nicht als negativ bezeichnen würde. Er kann manchmal mühsam und langatmig sein, aber es braucht ihn.

 

Welche politischen Diskussionen prägten das Komitee, welche waren die spannendsten?

Sevin: Diese Frage ist schwierig zu beantworten, denn alles was wir diskutieren, ist politisch.Wobei zwei Fragen für viel Diskussionsstoff sorgten: Geben wir für die Demo eine Bewilligung ein ja oder nein? Und dürfen die Männer* an die Demo kommen, ja oder nein? Das war etwas ein Hin und Her, aber offensichtlich brauchte es dies auch.

 

Wie wurde die Frage nach den Männern* an der Demo diskutiert?

Rita: Es gab Frauen*, für die es absolut klar war, dass Männer* mitlaufen können. Und es gab Frauen, für die es absolut klar war, dass Männer* nicht mitlaufen können, dazwischen eine schier unendliche Palette an Meinungen. Fragen kamen dabei auf wie: Wer ist überhaupt eine Frau? Wann ist jemand eine Frau*? Oder ist jemand erst dann eine Frau*, wenn die Person wie eine Frau aussieht? Und wer definiert, wer Frau* ist und/oder sein kann und darf, und wer nicht? Ich stellte mich dabei auf folgenden Standpunkt, besser gesagt stellte klar: Ich persönlich gehe an der Demo niemanden fragen, ob sie sich als Frau* fühlt oder nicht!

 

Wie wurde de Konsens in dieser Auseinandersetzung gefunden?

Sevin: In dem wir vom Standpunkt von Rita ausgegangen sind und wir uns die Frage gestellt haben: Wie wollen wir es konkret handhaben, wie wollen wir konkret vor Ort an der Demo vorgehen? Wir haben dann gemerkt, dass die Forderung nach ausschliesslich Frauen* an der Demo in der Realität nicht umsetzbar ist. So wurde entschieden, dass Männer* mitlaufen und sie bei der Organisation mithelfen können, zum Beispiel beim Kinderhüten oder Kochen. Es ist aber auch klar, dass wir die Männer* nicht zuvorderst an der Demo sehen wollen und auch nicht auf der Bühne. Nochmals: All diese Diskussionen waren wichtig, um sich dann gemeinsam auf das Wesentliche fokussieren zu können, auf die konkrete Organisation des Frauen*streiks hier in Zürich.

 

Was ist der grösste Erfolg des Komitees?

Sevin: Dass so viele Frauen* engagiert und aktiv sind, dass sie so vieles gemeinsam gemacht haben und politische Unterschiede, vor allem die gegenseitigen Vorurteile beiseitegelegt wurden. Das gemeinsame Schaffen wurde in den Vordergrund gestellt, das ist ein ganz grosser Erfolg.

Rita: Auch kamen immer mehr Frauen* an die Versammlungen. Wir wurden von Mal zu Mal mehr!

 

Kommen wir zu eurem Arbeitsort. Wie sieht es da aus in Sachen Frauen*streik?

Sevin: Ich arbeite für einen kleinen Verein, der den Mädchenfussball sowie Fussball bei Geflüchteten fördert. Bei uns herrscht Lohngleichheit sowie der notwendige und zu erwartende Respekt gegenüber Frauen*.

Rita: Ich begann den Frauen*streik zu thematisieren, indem ich die VPOD-Broschüre zum Streik im Gemeinschaftsraum aufhängte. Dann nahm ich eine lila Fahne mit und hängte sie gut sichtbar auf. So kam es, dass eine Kollegin mich fragte, was wir denn am Frauen*streik machen würden. Es kam Bewegung rein und ehrlich gesagt: Ich hätte nie gedacht, dass so was möglich gewesen wäre. Meine Absicht und sozusagen auch mein Ziel war es zu Beginn, vielleicht zwei, drei Arbeitskolleg*innen zu überzeugen, mit an die Demo zu kommen. Doch dann nahm die ganze Sache ein schier unglaubliches Ausmass an: Alle Frauen* der Abteilung sind involviert. Wir streiken jetzt eine Stunde lang. Wir beschlossen gemeinsam, unsere Pause am Morgen, die normalerweise 15 Minuten dauert, auf 60 Minuten auszudehnen. Und alle haben sagten, dass sie mitmachen! Das ist wirklich super!

 

Auf was führst du diese Entwicklung zurück?

Rita: Es gab einen Schneeballeffekt, aber es gab nicht nur einen bestimmten Auslöser dafür, sondern viel mehr eine Vielzahl davon, die immer zahlreicher wurden, je mehr über den Frauen*streik diskutiert wurde. So sind die Motivationsgründe auch sehr unterschiedlich. Für viele spielt aber die Ungerechtigkeit eine wichtige Rolle. Die Ungerechtigkeit zum Beispiel, dass die Gratisarbeit in der Gesellschaft sehr oft auf den Schultern der Frauen* lastet. Fakt ist aber, dass wir uns alle unter dieser Vielfalt wiederfanden, und ein gemeinsames Handeln begann. Es gab natürlich auch eine gewisse Angst. Konkret wurde diese, als es um die Frage ging, wie denn die Streikstunde bei der Zeiterfassung eingetragen werden soll. Ein Streik ist ja kein Streik, wenn es als Frei- oder Ferientag eingetragen wird. So haben wir uns entschlossen, diese Stunde als Arbeitszeit zu notieren. Das ist für viele Frauen* ein sehr mutiger Schritt. Die Angst wurde im gemeinsamen Handeln überwunden und das ist ein grosser Erfolg des Frauen*streiks, bevor er überhaupt stattgefunden hat. Wobei wir bisher für unsere Aktionen, wie zum Beispiel das Tragen von rot oder lila am Freitag, das Tragen der Buttons auch im Kontakt mit unseren Klient*innen oder das Aufhängen von Flugblättern, Infomaterial oder der lila Fahne nie zu irgendwelchen Reaktionen der Leitung geführt hat.

 

Wie soll es nach dem 14. Juni weitergehen? Gibt es schon eine Vorstellung davon?

Rita: Die Diskussionen, die jetzt stattfinden – und es sind wirklich sehr viele auf verschiedenen Ebenen – über die Rolle der Frau, diese Auseinandersetzung, die jetzt mit dem Thema der Gleichstellung stattfindet, müssen weitergehen. Nur so können wir die Ungerechtigkeiten besser bekämpfen, die so oft von meinen Arbeitskolleg*innen genannt werden.

Sevin: Das Frauen*kollektiv wird sich weiterhin treffen, eine Auswertung vornehmen und das weitere Vorgehen beschliessen. Aber abgesehen davon: Die Frauen* sollen da, wo sie sich für den Frauen*streik engagiert haben, weiter machen. Wir müssen kreativ und bunt bleiben und weiterhin Forderungen aufstellen. Dann sollten wir neue Sachen anpacken, weiterhin mobilisieren und noch mehr Druck machen.