Geht es nach den Krankenkassen sind zehn Prozent aller Spitäler in der Schweiz «überflüssig». Mit ihrer Schliessung will man nun 200 Millionen Franken sparen. Doch: Allein an zu vielen Spitälern krankt das Gesundheitswesen nicht.
Fakt ist: Fast nirgendwo auf der Welt ist die Gesundheitsversorgung pro Kopf so teuer wie in der Schweiz. Insgesamt 8009 Dollar waren es pro Kopf im Jahr 2017. Einzig die USA mit 10224 Dollar pro Kopf waren teurer. Und die Gesundheitskosten wirken sich massiv aus, da hierzulande besonders viel bei den Patient*innen liegen bleibt. Krankenkassenprämien sind momentan das grösste Armutsrisiko in der Schweiz. Um die Kosten zu senken, schlug der Krankenkassenverband Santésuisse eine Schliessung von jedem zehnten Spital in der Schweiz vor. Damit sollen pro Spital sieben Millionen eingespart werden – insgesamt also 200 Millionen Schweizer Franken. Auf die acht Millionen Einwohner*innen der Schweiz nimmt sich so eine Sparübung nicht besonders gross aus. Gerade einmal 25 Franken pro Kopf pro Jahr an Gesundheitskosten würden damit eingespart. Folglich: Der grosse Wurf wäre die Schliessung von Spitälern sicher nicht und auch an den Gesundheitskosten pro Kopf würde sie nicht viel ändern.
Ein grosses Geschäft
Dennoch machen aus Sicht der Kassen die Schliessungen Sinn. So würden die Auslastungszahlen bei teurem Equipment steigen. Das Material würde sich schneller amortisieren und weniger Personal wäre für den Betrieb nötig. Und auch die Entwicklung der Fallzahlen im Verhältnis zur Infrastruktur wird bei den euphorischen Sparbuchrechnungen unter den Tisch fallen gelassen: So gab es 1997 in der Schweiz 406 Spitäler. Im Jahr 2016 waren es noch 269. Die Bettenzahl ging von 2000 bis 2016 um 800 auf noch 38059 zurück. Dies trotz steigender Fallzahlen, was stationäre Behandlung angeht. Die stieg im selben Zeitraum um 110000 auf 1,44 Millionen Fälle. Doch für diejenigen, die an der Gesundheitsversorgung verdienen, steigen die Fallzahlen gerade in ländlichen Kliniken und Spitälern nicht schnell genug. Dass gerade Regionalspitäler im Vergleich wenig kosten, geht in der Lobtirade der Kassen auf den Leistungsabbau aber vergessen. So sind es gerade diese Krankenhäuser, die schnell ins Fadenkreuz geraten. Und zwar nicht nur in der Schweiz. Allein in den USA wurden in den letzten zehn Jahren 120 Spitäler in ländlichen Gegenden geschlossen. Und auch die Proteste in Frankreich stehen in Zusammenhang mit der Reduktion von Bettenzahlen. So warnten während des Streiks protestierende Ärzte laut der britischen Tageszeitung The Guardian, die Kürzungen hätten das Gesundheitssystem kurz vor den Kollaps gebracht.
Unpopuläre Schliessungen
Wie unbeliebt die Massnahme der Schliessung von Spitälern ist, lässt sich gut an der Berichterstattung der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) ablesen, die immer wieder gern die Lehrbuchmeinung des Kapitals zu Papier bringt. Wann immer irgendwo um die Schliessung von Krankenhäusern gekämpft wird, heisst es in der alten Tante: «Sobald irgendwo in der Schweiz eine Spitalschliessung droht, kochen die Emotionen hoch», oder gerne auch: «Wo immer in der Schweiz Spitäler verschwinden sollen, geht die Bevölkerung auf die Barrikaden.» Tatsächlich verhinderte das Stimmvolk in der Regel die Schliessungen von Infrastrukturen im Gesundheitswesen, wenn es an der Urne dazu die Gelegenheit bekam. Zuletzt in Basel im Februar 2019, wo zwei Drittel der Abstimmenden Stadtbasler*innen gegen eine Fusion des Kantonsspitals Liestal mit dem Unispital Basel votierte. Und auch bei aktuell anstehenden Schliessungen im Kanton St.Gallen wird mit Widerstand aus der Bevölkerung sowie aus der Gewerkschaftsbewegung gerechnet. Die angekündigte Schliessung von fünf der neun Spitalstandorte im Kanton wurde vom VPOD als «Frechheit» bezeichnet. Noch 2014 war vom Stimmvolk eine Milliarde für die Erneuerung und den Ausbau der St.Galler Spitalstruktur mit über 70 Prozent Unterstützung bewilligt worden. Vom Abbau wären durch Stellenverlust oder Wechsel der Arbeitsstelle allein bei der St. Galler Schliessung 1000 Arbeiter*innen betroffen.
Steigende Kosten
Das Hauptargument, dass von Kassen und bürgerlichen Parteien für die Schliessungen vorgebracht wird, sind die wachsenden Gesundheitskosten. Diese haben sich in den letzten Jahren tatsächlich stark vergrössert. Das lässt sich auch an den durchschnittlichen Prämien ablesen. Diese haben sich von 1996 bis 2020 von 1700 Franken auf 3800 Franken mehr als verdoppelt. Machten die Kassenprämien 1996 noch 2,7 Prozent des durchschnittlichen Budgets aus, waren es 2018 bereits 4,7 Prozent. Beim Einkommensschwächsten Fünftel der Bevölkerung machen die Gesundheitskosten 21,6 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens aus. Beim einkommensstärksten Fünftel sind es noch 6,6 Prozent. Dazu kommt, dass das Schweizer Gesundheitssystem für Wenigverdiener*innen schlechter zugänglich ist. Das System des Selbstbehalts stürzt gerade Prekarisierte in das Dilemma, ob sie ihre Gesundheitsversorgung im Krankheitsfall wahrnehmen möchten, was zu nicht leistbaren Unkosten führen kann, oder ob sie nicht lieber versuchen sollten, sich «durchzubeissen».
Kommerzialisierung der Lebensjahre
Es wäre aber verkürzt, die Kassen als einzige Schuldige an den Pranger zu führen. Eine grosse Rolle bei der Misere haben auch die Konzerne der Pharmabranche inne. 2016 liessen sich Pharmaunternehmen Zahlungen an verschiedene Ärzte und Krankenhäuser insgesamt 155 Millionen Franken kosten. Was marketingtechnisch geschickt als «Forschungsförderung» bezeichnet wurde, war im Endeffekt reine Korruption. So erhielten Ärzt*innen, laut einem Interview mit dem Konsumentenschützer Ivo Meili in der Zeitung «20Minuten» vom 16.August 2017, von Pharmaunternehmen 300 Franken, wenn sie bestimmte Medikamente verschrieben. Damit hätte die Pharmabranche eine Rolle bei der Preisentwicklung in der Schweizer Gesundheitsversorgung. Insgesamt 9,1 Prozent der Gesundheitskosten fielen 2016 auf Ausgaben für Medikamente. Dabei werden in der Branche, Gewinnmargen erzielt, die völlig realitätsfremd wirken. Ein Beispiel: Laut einer Studie des Westschweizer Fernsehens RTS belaufen sich die Produktionskosten des Brustkrebsmedikaments Herceptin von Roche auf rund 50 Franken. 2018 ging das Medikament aber für 2095 Franken über den Apothekentisch – dem 42-fachen der Produktionskosten. Die Antwort von Roche, als man sie auf die exorbitanten Gewinnspannen ansprach: Die Medikamentenpreise würden nicht auf den Investitionen für die Herstellung, sondern auf dem Patientennutzen basieren – eine Kommerzialisierung von gewonnenen Lebensjahren also.
Menschenleben marktförmig gemacht
Wie zynisch die Entwicklungen in unserem Gesundheitssystem auch sind, sie folgen der Logik der Märkte. Im Kapitalismus wird warenförmig gemacht, was warenförmig gemacht werden kann. Dass Arme vor den Reichen sterben, ist keine Neuigkeit. Wohlstand ist einer der zentralsten Faktoren, die die statistische Lebenserwartung beeinflussen. Dass man sich zusätzliche Lebensjahre in Form von überteuerten Medikamenten dazukaufen muss oder schlicht vor die Wahl von finanziellem Ruin für sich und seine Familie im Falle einer Behandlung oder eben dem Tod gestellt wird, treibt diese groteske, zynische Situation einfach nur zusätzlich auf die Spitze.
Wohin die Reise geht, wenn man die Gesundheit der Menschen dem freien Markt überlässt, zeigen die USA. Auch dort wütet die Pharmabranche und es sind vor allem die steigenden Preise für Insulin, dass für Diabetiker*innen überlebenswichtig ist, die für vermeidbares Leid sorgen. Während die Profite der Pharmakonzerne steigen, wurden bereits Dutzende von Fällen von Kranken in der amerikanischen Presse dokumentiert, die verstarben, weil sie sich ihr Insulin nicht leisten konnten. Auch in Deutschland führten Spitalschliessungen zu konkreten Verschlechterungen: Die Anfahrtswege wurden länger (für Patient*innen und Personal), es kam zu aufgeschobenen Operationen wegen ungenügender OP-Kapazitäten und besonders strukturschwache dünn besiedelte Regionen leiden unter der Ausdünnung des Klinik- und Krankenhausangebots.
Gesundheit ohne Kapitalist*innen
Um diese Entwicklung aufzuhalten, muss in letzter Instanz immer das kapitalistische System angegriffen werden. Doch einige Massnahmen und Forderungen können einen direkten Übergang von einer Verbesserung der Lebensumstände der Massen hin zur Losung des Sturzes der bestehenden Ordnung bilden.
Die Schliessungen von Spitälern sorgt nicht für Fortschritte in der Gesundheitsversorgung, sondern schlicht für höhere Profitmargen für die Kassenlobby. Für Provisionen, Werbung und Verwaltung gaben die Kassen 2018 insgesamt 1736 Millionen Franken aus.
Die fast 200 Millionen, die durch die Schliessung von 28 Spitälern schweizweit eingenommen würden, kratzen nicht einmal annähernd am Sparpotenzial, dass in der Gesundheitsversorgung möglich wäre, wenn die Krankenkassen enteignet und in eine Einheitskasse überführt würden. Eine solche Einheitskasse würde unsere Gesundheit nicht nur der Profitlogik einiger Kapitalist*innen entziehen, die sich eine goldene Nase verdienen, sondern die Arbeiter*innenklasse in der Schweiz von einem weiteren Armutsrisiko zu befreien – und sie einer Entwicklung einen Riegel schieben, die aus Gesundheit ein Gut macht, dass sich Reiche leisten können, während Arbeiter*innen sterben.