Im nächsten Jahr feiert diese Zeitung ihren 130. Geburtstag. Seit der ersten Stunde ihres Lebens hat sie sich für die Rechte der Arbeiter*innen eingesetzt, für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebenssituation. Genauso hat sie sich für die Rechte der Frauen* und jener der Unterdrückten überall auf dieser Welt engagiert. Und auch von Geburt weg steht sie für den Kampf gegen den menschenverachtenden Kapitalismus. Wir haben immer klar Position bezogen – und wir werden es auch in Zukunft tun. Wir haben nie geschwiegen und unseren Möglichkeiten entsprechend, die Ungerechtigkeiten dieser Welt immer beim Namen benannt. Ganz nach den Worten von Ernesto Che Guevara in seinem Abschiedsbrief an seine Kinder: «Seid vor allem immer fähig, jede Ungerechtigkeit gegen jeden Menschen an jedem Ort der Welt im Innersten zu fühlen. Das ist die schönste Eigenschaft eines Revolutionärs.»
Wie können wir also diesmal schweigen? Oder noch schlimmer: So tun, als würden wir es nicht sehen. Nicht sehen wollen, dass die Fussballweltmeisterschaft (WM) in Katar voller Blut der X-tausend toten Wanderarbeiter*innen ist, die wegen den sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen auf den Baustellen der WM-Infrastruktur ihr Leben verloren. Die genaue Anzahl werden wir nie erfahren, was schlimm genug ist. Nicht sehen wollen, dass die Rechte der Frauen* und der LGTB-Personen selbst auf einer formal-juristischen Ebene nicht gewährleistet sind. Und nicht sehen wollen, dass diese WM das Spiegelbild einer dekadenten kapitalistischen Gesellschaft ist. 185 Milliarden Euro werden in Katar in Bauprojekte verbaut, die rund um die WM entstanden sind. Dazu gehören Shopping-Meilen und Pärke. Davon profitieren werden ganz wenige Superreiche und die Baufirmen, die auf Kosten der Arbeiter*innen massive Profite einfahren werden. 460 Millionen Euro an Prämien werden an der diesjährigen WM ausbezahlt. Der Mindestlohn in Katar beträgt weniger als ein Euro pro Stunde. Wir könnten etliche Beispiele hinzufügen.
Natürlich, auch wir wissen, dass es auf dieser Welt kein Land mit einer absolut weissen Weste gibt, indem ohne jegliche Kritik die WM stattfinden kann. Und Ja, auch die letzten drei WM-Turniere in Südafrika, Brasilien und Russland hatten eine Reihe von Gründen, die ein Boykott rechtfertigt hätten – wir taten es nicht. Aber das Nichtstun von früher ist kein Grund, heute nicht sehen zu wollen, was Sache ist: Es geht nicht um das Spiel Fussball, es geht um den grösstmöglichen Profit des Fifa-Produkts Fussball-WM – und dafür gehen die Fifa und Katar buchstäblich über Leichen. Wir machen da nicht mehr mit, weil es unser Gewissen als Mensch und unsere politische Überzeugung nicht mehr zulässt. Wir schliessen uns als vorwärts der Bewegung Boykott Katar an. Dies auch mit dem Ziel, eine möglichst breite und kontroverse Diskussion über die WM in Katar zu führen. Aber nicht nur: Sondern auch über die kapitalistische Gesellschaft, in der wir leben, denn beides hängt zusammen.

Redaktion vorwärts