Aufgabe der Grenzschutzagentur Frontex ist die Durchsetzung der Abschottungspolitik der EU. Am 15. Mai stimmt die Schweiz darüber ab, ob sie sich am Ausbau von Frontex beteiligen will und ihren Beitrag von 14 auf 62 Millionen Franken erhöht wird. Nein zu Frontex, ja zur Bewegungsfreiheit für alle.

«Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt», sagte am 11. März 2004 der damalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck (SPD). Er versuchte mit diesen Worten die Beteiligung deutscher Bundeswehrtruppen am Nato-Krieg in Afghanistan zu rechtfertigen. Ähnlich dumm hört es sich an, wenn der aktuelle eidgenössische Bundesrat Ueli Mauerer (SVP) dem Schweizer Stimmvolk in einer Videoansprache erklärt, dass der «Ausbau von Frontex für die Schweiz von zentraler Bedeutung» sei. Denn, so Maurer weiter: «Frontex ist ein wichtiger Faktor für die Sicherheit der Schweiz. Als europäisches Binnenland hängt unsere Sicherheit auch von der Lage an den Schengen Aussengrenzen ab.»
Demgegenüber ist auf der Website des Referendumskomitees No Frontex zu lesen: «Gewalt, Elend und Tod sind an den Aussengrenzen Europas Alltag geworden. Flüchtende und Migrierende werden entrechtet, geprügelt und abgeschoben. Als europäische Grenz- und Küstenwache ist Frontex mitverantwortlich. (…) Trotzdem wird Frontex europaweit massiv ausgebaut.» Und: «Am 15. Mai wird abgestimmt, ob sich die Schweiz an diesem Ausbau von Frontex beteiligt. Wir sagen Nein zu Geld für die Frontex und Ja zur Bewegungsfreiheit für alle».

5,6 Milliarden Euro und ein Heer
Frontex ist die Grenzschutzagentur der Europäischen Union (EU). Eine ihrer Hauptaktivitäten ist die Rückführung von «irregulären Migrant*innen». Dabei ist seit Jahren bekannt, dass Frontex direkt und indirekt in gewaltsame, illegale Pushbacks verwickelt ist und so die Grundrechte von Migrant*innen mit den Füssen tritt. Weiter ist die Agentur für die Planung und Durchführung von Ausschaffungen in der gesamten EU, für die Aufrüstung lokaler Grenzschutzbehörden und für das Verfassen von sogenannten «Risikoanalysen» zuständig. 147 Millionen Euro investierte sie in die Luftüberwachung (Frontex Aerial Surveillance Service – FASS) und analysiert grenzüberschreitende Bewegungen in seinem Hauptquartier in Warschau in Echtzeit.
Auf den Punkt gebracht: Die Aufgabe von Frontex ist es, die tödliche Abschottungspolitik der EU an ihrer Aussengrenzen durchzusetzen – und dies mit Gewalt. Dafür braucht es immer mehr Geld und Personal. Daher wird ausgebaut: Das Budget wird von 3,7 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf 5,6 Milliarden im Jahr 2027 erhöht und ein Heer von 10’000 Grenzschutzbeamt*innen soll zur Verfügung gestellte werden.

Indirektes Todesurteil
Die Schweiz ist seit 2009 Mitglied von Frontex und ist durch den Vizedirektor des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit (EZV) Marco Benz und seine Stellvertreterin Medea Meier im Verwaltungsrat vertreten. Der finanzielle Beitrag der Eidgenossenschaft beläuft sich aktuell auf 14 Millionen Franken. Zudem sendet die Schweiz Grenzschutzbeamt*innen, Dokumentspezialist*innen, Hundeführer*innen oder sogenannte Rück-kehrspezialist*innen für Ausschaffungen in den Frontex-Einsatz. Für 2021 waren 1902 Einsatztage vorgesehen.
Das alles scheint aber nicht zu reichen. Geht es nach dem Willen des Bundesrats und der Mehrheit des Parlaments soll sich die Schweiz am Ausbau und der Aufrüstung von Frontex beteiligen, und zwar mit 61 Millionen Franken (statt wie bisher mit 14 Millionen) und 40 festangestellen Personen. Gegen diesen Beschluss wurde das Referendum eingereicht, das am 15. Mai zur Abstimmung kommt. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass ein Ja zu einer höheren Finanzierung von Frontex zugleich ein indirektes Todesurteil für viele flüchtende Menschen an der EU-Grenze darstellt. Sind die 24’000 Menschen, die seit 2014 auf dem Weg nach Europa gestorben sind, nicht schon genug Tote?

Genozid auf dem Mittelmeer
«In einer Migrationspolitik, die Prinzipien wie Menschenwürde und Bewegungsfreiheit ins Zentrum stellt, würde auch eine Agentur Platz haben, die sich um den Empfang und die Unterstützung von geflüchteten Menschen kümmert. Mit mehreren Milliarden Budget sowie 10000 Menschen im Einsatz für Geflüchtete und Migrant*innen wäre so einiges möglich», ist auf der äusserst informativen Website des Referendumskomitees No Frontex zu lesen. Plädiert wird für «die Konzeption von legalen und sicheren Flucht- und Migrationswegen, sowie ein Neudenken und eine neue Praxis im Umgang mit Migration. Denn Migration sei «keine Bedrohung, sondern eine Tatsache». Die Abschottung Europas, für deren Durchsetzung Frontex eine zentrale Rolle spielt, ist keine Lösung, sondern eine rassistische und imperiale Antwort. «So werden im jetzigen System unter dem Vorwand von Sicherheit für die einen, andere Menschen gefährdet. Was es dringend braucht, sind Lösungen, die auf globaler Solidarität basieren», hält das No Frontex Referendumskomitee fest.
«Wir sollten nicht von Migration sprechen, sondern von Mobilität. Und Mobilität ist ein Menschenrecht», sagte im Herbst 2021 Leoluca Orlando, der berühmte Bürgermeister der sizilianischen Stadt Palermo in einem Interview. «Wir erleben zur Zeit einen Genozid auf dem Mittelmeer. Wir müssen die Menschenleben retten.» Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es die Nürnberger Prozesse gegen die Nazi-Verbrecher gegeben. «Wer weiss», so Orlando weiter, «ob in Zukunft nicht auch so mancher vor dem Richter stehen wird, weil er Tausende von Menschen hat ertrinken lassen». Er mahnt: «Und wir alle haben von diesem Massentod gewusst».